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A&O
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Bräuning Contemporary, Hamburg 2015

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A & O - der Titel verweist bereits auf den Anspruch der Ausstellung: die Visualisierung der elementaren und essentiellen Strukturen und Fundamente unserer Zivilisation.

 

Der Fokus der Werke von Jost Wischnewski liegt auf der Auseinandersetzung mit Sujets, die in der modernen Gesellschaft zwar permanent gegenwärtig sind, deren Präsenz jedoch selten bewusst wahrgenommen wird. Bewegung und Geschwindigkeit als Basis der westlichen Zivilisation sind dabei genauso zentrale Themen wie der Transport von Waren, Gütern, Begriffen und Ideen.

 

Dabei gelingt es Wischnewski, zunächst abstrakt erscheinende Elemente, wie die Substanz des Straßenverkehrs oder die globalen Verflechtungen und Verschiebungen von Waffen und Finanzen als unsichtbare gesellschaftliche Ordnungssysteme, visuell zu materialisieren, etwa indem er sie in demon-strativen Schrift- und Bildzeichen hinter Glas bannt. Begriffe, die eigentlich für dynamische Prozesse stehen, werden so paradoxerweise statisch fixiert, wodurch ihr ursprünglicher Charakter sowohl widerlegt als auch bekräftigt wird.

 

Die glatte Oberfläche des Werkstoffs Glas als durchlässiges und zugleich trennendes Material betont den abstrakten Charakter sowie die sinnbildlich erzeugte Transparenz. Durch seine Reflexion auf der Bildoberfläche wird der Betrachter zudem in das Werk involviert und mit der eigenen Existenz konfrontiert. Verstärkt wird dieser Effekt im Werk Testa-R durch die Integration eines Spiegels, der den Betrachter an Stelle des Motors treten lässt und so seine Funktion als Antrieb des Lebens versinnbildlicht. Die spiegelnde Eigenschaft des Glases etabliert darüber hinaus Raumbezüge zwischen den einzelnen Werken, die so miteinander korrespondieren und neue Zusammenhänge ergeben.

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Auch Close Ups verschiedener Straßenmarkierungen verweisen auf die Funda-mente unserer verkehrs- und transportbasierten Gesellschaft. Die teilweise extremen Nahaufnahmen forcieren die mentale Auseinandersetzung mit einer Symbolik, die im Alltag oft unbeachtet bleibt und erlaubt durch ihre statische Darstellung eine neue Wahrnehmung, die sonst durch Bewegung bestimmt wird.

Die Verschiebung der Wahrnehmungsgewohnheiten durch den Einfluss von Geschwindigkeit und Bewegung bildet eine zentrale These des Philosophen und Begründers der Dromologie, Paul Virilio. Virilio konstatiert die Veränderung der Betrachterwahrnehmung in Folge schneller Reisegeschwindigkeiten, durch die der Reisende statische Objekte als dynamisch rezipiert. Die zunehmende Geschwindigkeit moderner Transportmittel und somit auch des Betrachters transformiert die optischen Eindrücke und inszeniert so, vergleichbar den elektronischen Medien, eine fiktive Welt, deren virtuelle Bilder auf ein Interface projiziert werden, das den Menschen von der realen Welt trennt.

 

Diese Trennung manifestiert sich in Wischnewskis Werk durch technische Kunstgriffe wie die Hinterglasmalerei, deren Oberfläche eine Distanz zur Be-trachterrealität schafft, sowie Werke wie Stau, deren Windschutzscheiben als Leinwand für die virtuelle Welt fungieren. Virilios These des Einflusses der Bewegung auf die Wahrnehmung bestätigt Wischnewski durch seine Darstellung des Umkehrschlusses: Elemente, die dem Betrachter sonst ausschließlich in Bewegung begegnen, erscheinen durch ihre statische Fixierung in einem neuen Licht.

 

Wischnewski beschäftigt sich so mit einem Sujet, das die Kunstgeschichte seit der Entwicklung verschiedener Transportmöglichkeiten begleitet. Künstler wie Turner oder Toulouse-Lautrec versuchten in ihren Darstellungen fahrender Kutschen, Automobile oder Eisenbahnen die zu ihrer Zeit revolutionären Neuerungen und bis dahin ungeahnten Geschwindigkeiten bildlich zu erfassen. Auch die Arbeit der italienischen Futuristen wurde entscheidend durch das Bestreben geprägt, das beschleunigte Tempo der Gesellschaft in ihrer Kunst sichtbar zu machen. Wischnewski überträgt dieses traditionsreiche Thema auf die Gegenwart, die neue Ausprägungen sowie Ausdrucksmöglichkeiten bietet.

 

Neben der Visualisierung symbolhafter Elemente nutzt er das Mittel der fotogra-fischen Dokumentation, der er teilweise einen verfremdenden Charakter verleiht. So erschließt sich dem Betrachter bei einigen Aufnahmen das dargestellte Motiv erst auf den zweiten Blick. Wischnewski provoziert folglich auch hier eine präzise Auseinandersetzung des Betrachters mit Bildgegenständen, die in der Realität wenig Beachtung finden und so tradierte Sehgewohnheiten in Frage stellt. Die Fotografien erfüllen dabei zugleich dokumentarische wie auch formale und ästhetische Ansprüche: Ungewöhnliche Bildausschnitte sowie monumen-talisierende Nahaufnahmen erzielen eine teilweise geometrische bis abstrakte Wirkung, die profane Ansichten zur Kunst erheben, zugleich aber eine subtile Kritik an den gezeigten Begebenheiten üben.

 

Eine genaue Lokalisierung der Aufnahmen ist nicht möglich und demonstriert so eine weitere Folge der Globalisierung, die nicht nur, wie Virilio konstatiert, für eine geistige sondern auch eine ästhetische und architektonische Gleich-schaltung sorgt. Zeitgenössische Architektur und Infrastruktur unterscheiden sich in ihren lokalen Ausprägungen nur marginal voneinander und können ohne Kontext nicht verortet werden. Auch die abstrahierte Ansicht eines Autobahn-kreuzes bleibt isoliert und lässt in ihrer an ein Kleeblatt erinnernden ornamen-talen Anmut eine Schönheit erahnen, die dem Betrachter im Alltag verborgen bleibt. Wischnewski rekurriert hier auf die Form des Kreuzes als ein mit vielfachen Bedeutungen beladenes Symbol: Einerseits als Signum der christlichen Ikonographie, andererseits, insbesondere im Kontext der Infra-struktur, als richtungsweisender Ort der Separation oder des Zusammen-schlusses verschiedener Routen.

 

Das Prinzip der direkten Konfrontation mit dem Betrachter überträgt Wischnewski gleichermaßen auf den verbalen Kontext: Ausdrücke wie A & O oder FF verweisen auf die unbewusste Verwendung alltäglicher Redewen-dungen, die selbstverständlich in den Wortschatz integriert sind, oft ohne Kenntnis der genauen Bedeutung und Hintergründe. Wenige demonstrative Buchstaben symbolisieren hier wieder eine weitreichende Bedeutungsebene, deren fehlende Beachtung dem Rezipienten durch die eindrucksvollen Hinterglasarbeiten vor Augen geführt wird.

Auch die Verflechtungen und Komplikationen des Währungsverkehrs sowie rechtliche Grundlagen als weitere Basis der westlichen Gesellschaft werden durch die bildhafte Darstellung ihrer Symbole manifest. Werke wie YES II, das die - zumindest empfundene - Auflösung der Weltwährungen angesichts der ökonomischen Turbulenzen der letzten Jahre andeutet, oder die monumentale Tischskulptur Fasterpiece beziehen sich dabei auf die Fragilität der Gesell-schaft: Die Getriebe als empfindlichste Bestandteile eines Fahrzeugs bilden die sensible Basis des Konstrukts und verweisen so wieder auf die Visualisierung der Grundlagen unserer Zivilisation, die Wischnewskis gesamtes Oeuvre prägt.

 

Katharina Lange, Galerie Bräuning Contemporary, Hamburg 2015

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